Interview

Interview // Sandra Lüpkes – Das Licht im Rücken

Sandra Lüpkes ist für mich eine meiner Lieblingsautorinnen und hat einen festen Platz im Regal und auch auf dem Reader. Sie garantiert nicht nur tolle Lesestunden, sondern auch ereignisreiche Lesungen. Zum neuen Buch “Das Licht im Rücken” habe ich die Lesung besucht, die ich, sofern Ihr bei Euch in der Nähe die Gelegenheit habt, jedem absolut empfehlen würde. Für alle, die diese Gelegenheit nicht haben, durfte ich der Autorin ein paar Fragen stellen:

© Sonja Kochmann

Du hast inzwischen unzählige Bücher veröffentlicht, wie viele sind es tatsächlich?

Wenn man meine Kurzgeschichtensammlungen nicht mitrechnet, habe ich in 23 Jahren 24 Bücher veröffentlicht. Was aber nicht bedeutet, dass ich jedes Jahr eines schreibe. Für die beiden letzten Romane habe ich jeweils drei Jahre gebraucht. Aber früher, in meiner Krimi- und Liebesromanzeit, war ich schon extrem produktiv.

Was verbindet Dich mit „Leuenhagen & Paris“?

© Sonja Kochmann

Viele wunderbare Veranstaltungen. Das erste Mal war ich im Jahr 2003 mit meinem dritten Roman „Fischer wie tief ist das Wasser“ dort. Damals bin ich nicht viel gereist, da ich noch auf Juist lebte und meine Kinder klein waren. Ich erinnere mich, wie Tessa Martin, die bei Rowohlt die Lesungen koordiniert, damals sagte: „Da müssen Sie unbedingt hin, Frau Lüpkes, diese Buchhandlung ist toll, sehr gut vernetzt, auch mit der Presse.“ Also hab ich mich ordentlich ins Zeug gelegt – und bin seitdem mit fast jedem Buch dort aufgetreten. Die Inhaberfamilie Eberitzsch und ich kennen uns inzwischen so gut, dass ich, wenn ich mal in der Gegend bin, auch einfach auf einen Kaffee in der Lister Meile vorbeischaue.

© Sonja Kochmann

Nach Krimis und Liebesgeschichten am Meer wurde es mit „Die Schule am Meer“ historisch. Was hat der Verlag zu dem Manuskript anfänglich gesagt?

Bei Rowohlt wussten sie, dass ich einen Imagewechsel wünsche. Weg vom Vielschreiben hin zur akribischen Recherche zeitgeschichtlicher Stoffe. Dass sie mir das vorbehaltlos zugetraut haben, hat mich enorm bestärkt. Meine Lektorin Ditta Friedrich ist richtig eingetaucht in die Arbeit, war beispielsweise mit mir auf Juist, um im Archiv zu stöbern. Ich würde mal sagen: Der Verlag bietet mir die allerbesten Voraussetzungen, gute Romane zu schreiben. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie hängen der neue Roman „Das Licht im Rücken“ und „Die Schule am Meer“ zusammen?

Im Archiv der Schule fand ich Unmengen alter Fotografie, die mich sehr inspirierten, da sie so lebendig und unverkrampft waren, was für die 1920er Jahre eher ungewöhnlich ist. Es waren wohl frühe Leica-Aufnahmen, denn der jüngste Sohn der Unternehmerfamilie Leitz ging auf Juist zur Schule und hat höchstwahrscheinlich für eine oder mehrere Kameras sowie eine Dunkelkammer gesorgt. Ich habe dann mal genauer nachgeforscht, welche Geschichte hinter dem großzügigen Unternehmen steht – und war begeistert. Denn da ist alles drin, was ein Roman braucht: Konflikt, Mut, Verzweiflung, Relevanz…

Wie lange hast Du an diesem Werk recherchiert?

Das Schreiben und Recherchieren geschieht ja oft Hand in Hand, deswegen kann ich das kaum auseinanderrechnen. Jedenfalls habe ich im März 2020 Kontakt zur Familie Leitz aufgenommen und im Dezember 2022 war die letzte Manuskriptfassung druckreif.

Geht einem da manchmal zwischen all den Zeitdokumenten „die Puste aus“?

Zugegeben, das war schon ein Kraftakt, weil so viel drinsteckt in diesem Roman: Mechanik, Mediengeschichte, Propagandafotografie, Stadthistorie … Manchmal habe ich ganz schön geächzt. Aber wenn ich dann alles Wissenswerte für ein neues Kapitel zusammen hatte und schreiben konnte, war ich wieder voll in meinem Element.

© Sonja Kochmann

Wie stellt man sich das Zusammentragen der geeigneten Recherchefundstücke vor?

Das meiste speichere ich digital in einer Dropbox, um alles immer und überall parat zu haben. Dort lege ich eine sehr umfangreiche Tabelle an, in der ich die Quellen und einzelnen Informationen so katalogisiere, dass ich sie schnell wiederfinde. Das klingt nach staubtrockener Arbeit, doch das tolle ist: Habe ich erstmal ein funktionierendes Ordnungssystem gefunden, resultiert daraus fast magisch ein Muster für den Romanaufbau.

© Sonja Kochmann

Wie gehst Du beim Zusammenbringen der Recherche und dem Plotten vor? Oder schreibst Du einfach drauf los?

Ich arbeite mit dem 5-Punkte-Plotprinzip, und zwar erst einmal für das Meta-Thema (in diesem Fall die Revolution der Fotografie). Das geht ungefähr so: Wenn man den Anfang kennt (1914: vage Idee, eine Kleinfilmkamera zu bauen), weiß man auch, wie es ausgeht (1945: Leica ist Welterfolg), denn Anfang und Ende sind immer das Gegenteil. In der Mitte gibt es den Punkt, an dem die bisherige Strategie über den Haufen geworfen werden muss (1925: Kamera wird produziert, obwohl es um die deutsche Wirtschaft katastrophal steht). Und dazwischen sind auch noch mal zwei Wendepunkte, in denen es ums Ganze geht (der Erste und der Zweite Weltkrieg brechen aus).  Dasselbe Prinzip wende ich für jede meiner Hauptfiguren an. Wenn ich dann mit dem Schreiben beginne, verflechte ich diese verschiedenen Plots. Klingt fast nach Mathematik, ist aber eine wunderbare Methode, in einer großen, umfassenden Geschichte den roten Faden zu finden.

Habe ich das bei der Lesung richtig verstanden; Du hast einiges über die Familie Leitz und auch die ersten Leica Bilder herausgefunden, die selbst die spezialisierten Historiker in Wetzlar noch nicht wussten? Wie fühlt man sich bei solchen Entdeckungen?

Ich habe eben nicht nur in Wetzlar – also am Ort des Geschehens – nach Quellen gesucht, sondern mich auch von anderer Seite der Geschichte genähert. Beispielsweise wusste ich, dass meine Hauptfigur Elsie eine Affäre mit ihrem Lehrer hatte. Und da habe ich mir dessen Nachlass angeschaut, denn logischerweise sind die Briefe, die Elsie ihm als junge Frau schrieb, eher in seinem Besitz gewesen, schließlich war er der Adressat. Es elektrisiert, wenn man sich einem Thema von beiden Seiten nähert und am Ende passen die Handlungsstränge einwandfrei zusammen.

Fotografierst Du gern? Du hast berichtet, dass Du mit einer alten Leica einen Fotokurs belegt hast…

Fast. Beim Fotokurs habe ich mit einer geliehenen analogen Spiegelreflex-Kamera gearbeitet. Die Leica von 1931 habe ich mir wenig später gekauft und versucht, das beim Kurs Erlernte umzusetzen. Aber ich habe einmal mehr festgestellt, dass ich fürs Fotografieren einfach zu ungeduldig bin. Egal, ob Handy oder antikes Stück. Allerdings bringen mir Fotograf:innen sehr viel Respekt entgegen, wenn ich berichte, dass mir die Handhabung der Leica I mit einer original Gebrauchsanweisung von 1930 gelungen ist.

Das werde ich nun auch nicht mehr vergessen…erklär uns warum der Film in der Kamera 36 Bilder hat.

Wirklich belegt ist es nicht, aber vermutlich kommt die standardisierte Filmlänge so zustande, dass der Erfinder der Leica – Oskar Barnack – anfangs eine Armlänge vom Zelluloid abgemessen und dann abgeschnitten hat. Und die reichte dann eben immer für 36 Aufnahmen.

Du hast nun unzählige Leica-Bilder gesichtet. Welche sind Dir besonders im Gedächtnis geblieben?

Viele weltberühmte Fotografien wurden mit der Leica aufgenommen, das habe ich vorher nicht gewusst. Beispielsweise die fliehenden Kinder in Vietnam, das Porträt von Che Guevara, der Bruderkuss. Spannend ist: alle diese Bilder sind im weitesten Sinne manipuliert. Das Vietnambild ist nur ein Ausschnitt, Che Guevara ist schlanker retuschiert und Breschnew und Honecker haben sich nur sehr kurz und unpersönlich geküsst, doch durch ein extremes Teleobjektiv wurde dieser Eindruck von Innigkeit hervorgerufen. Ein Grundthema des Buches ist ja die Frage, ob Fotografien die Wahrheit zeigen. Ich fürchte, die Antwort ist Nein.

Bei der Lesung und hinterher beim Verschlingen des Buches ist mir aufgefallen, dass bei den gelesenen Passagen (verständlicherweise aus Zeitgründen) Passagen, Halbsätze und Co. weggelassen werden. Wie ist das bei der Vorbereitung? Fällt es da schwer zu kürzen? Immerhin hast Du die Stellen ja bewusst ins Buch hineingenommen.

Gut beobachtet! Tatsächlich sind die Stellen deutlich gekürzt, ich streiche Dinge, die sich auf andere Szenen beziehen und somit bei einer Lesung unverständlich wirken. Ohnehin bestehen meine Veranstaltungen nur zur Hälfte aus Lesepassagen, die andere Zeit erzähle ich frei von den historischen Zusammenhängen, zeige Bilder, berichte von meiner Arbeit an dem Buch, gebe Einblick in meine Recherche. Solche Abende sollen schließlich einen Mehrwert für das Publikum haben. Lesen kann man ja schließlich selbst, und ich weiß, dass Leser:innen es spannend finden, mir über die Schulter schauen, wie aus einer wahren Begebenheit ein Roman wird.

Ich habe die Schule am Meer geliebt. Die Schüler und Lehrerschaft waren so vielfältig, da könnte man doch noch einige Fäden aufgreifen…Dein neues Projekt geht vielleicht in diese Richtung?

Da liegst du gar nicht so falsch. Mein nächster Roman, von dem noch kein einziger Satz geschrieben ist, resultiert wieder aus „Die Schule am Meer“. Ein Wiedersehen mit Eduard Zuckmayer ist denkbar, doch geht es nicht um Musik, sondern eher um etwas Bodenständiges im weitesten Sinne. Mehr verrate ich aber nicht.

Och wie schade, ich bin ja schon so neugierig. Dann wünsche ich Dir gutes Gelingen und wir sehen und dann bei der nächsten Lesung mit dem neuen Werk spätestens wieder….vielen Dank für die Einblicke.

© Sonja Kochmann

© Sonja Kochmann

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