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kritisch

Rezension

Rezension // Timur Vermes – Die Hungrigen und die Satten

© Sonja Kochmann

Nach “Er ist wieder da” hat sich Timur Vermes an ein neues heikles und unbequemes Thema gemacht: Flüchtlinge. Die Rezension ist genau wie das Buch nicht leicht, denn ich möchte es wertfrei von politischen Überzeugungen halten.

Der Autor selbst hat zu böser und auch morbider Satire gegriffen. Wer noch mit Kalauern à la “Hitlerjunge Ronaldo” aus “Er ist wieder da” rechnet, wird hier enttäuscht. Allerdings hat der alte Buchtitel einen kleinen Cameoauftritt.

Hier gibt es Spitzen zur momentanen Bildungsfrage, der medialen Unterhaltungsmaschinerie, der Quotenmacherei und der Scheinwelt, in der manche Menschen gerne leben, um nicht über den Tellerrand ihrer Wohlstandsgesellschaft hinausschauen zu müssen.

Als roten Faden führt Nadeche Hackenbusch, ein Möchtegern-TV-Sternchen mit Message eines Privatsenders, durch die Handlung. Sie will mit Glitzerschühchen live und Farbe aus Afrika berichten. Aufgrund hormoneller Manipulation durch ihren schwarzen Assistenten Lionel setzt sich ein Zug von 150.000 Flüchtlingen zu Fuß Richtung Deutschland in Bewegung.

Doch wer denkt, die schaffen das nicht, unterschätzt das durchaus existierende Netzwerk, der Leute, die an Flüchtlingen verdienen und das um jeden Preis.

Mit überzogenen Situationen und Seitenhieben an existierende Personen des öffentlichen Lebens aus Politik, TV und Literatur spitzt sich das Buch zum Ende dramatisch zu und lässt den Leser, sofern er sich durch 450 Seiten gekämpft hat, als Gaffer dastehen.

Das Buch stimmt nachdenklich und das soll es auch. Denn unsere politische Situation ist (vielleicht?) nicht weit von diesem überspitzen Szenario entfernt, in dem die Werte und Normen ins Wanken geraten und die deutsche Geschichte sich wiederholen könnte!?

Aufgrund der Längen vergebe ich 8 von 10 Punkten.

(Außerhalb der Wertung und eher ein Hinweis an den Verlag: Beim ebook ist als Abschluss ein Aufsatz als Bild dargestellt. Dadurch kann man leider die Ränder sehr schlecht und die letzten Zeilen teilweise gar nicht lesen.)

Verlag: Eichborn
erschienen: 2018
Seiten: 512
ISBN: 978-3847906605

Rezension

Rezension // Louise O’Neill – Du wolltest es doch

© Sonja Kochmann

Emma ist hübsch; sie ist beliebt und begehrt. Auf einer Party schaut sie zu tief ins Glas und ein paar Pillen später, nimmt das Unglück seinen Lauf. Sie geht mit Paul in ein Schlafzimmer und die anderen Jungs kommen hinterher.

Am nächsten Morgen liegt sie mit zerrissener Kleidung vor dem Haus ihrer Eltern und kann sich an nichts erinnern. Für ihre Mitschüler und auch bald die ganze Kleinstadt ist sie nur noch die Schlampe, Hure und das Mädchen, denn das Internet ist voll mit Fotos von der vergessenen Nacht.

Das Buch wurde vom Verlag mit der Altersangabe ab 16 Jahren versehen. Früher würde ich das Buch auf keinen Fall zu lesen geben. Denn es ist aufwühlend, verstörend und emotional. Daher wurde ich ggfs. auch meinem Kind anbieten, darüber zu reden, wenn es zu diesem Buch greift.

Die Autorin hat anschaulich Emmas Zwickmühle dargestellt: Einerseits ist sie beliebt, anderseits hat sie viele Neider. Bei ihr “zu landen”, ist für die Jungs wie die Jagd nach einer Trophäe.

Daher ist das sogenannte Victim Blaming (Opferbeschuldigung, auch „Täter-Opfer-Umkehr“) und Slut Shaming (Frauen werden verurteilt für ihre Sexualität) für Emma nach ihrer vergessenen Nacht auch um so schlimmer. Selbst ihre Freundinnen glauben ihr nicht und wenden sich von ihr ab.

Der Spießrutenlauf und die seelischen und körperlichen Folgen werden eindrucksvoll und bewegend beschrieben. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, weil ich mit Emma mitgefühlt und gehofft habe.

Das Buch klärt auf. Es bewegt und es veranlasst zum Nachdenken (und vielleicht für die betroffene Generation auch zum Umdenken). Denn Alkohol, Drogen und Egoismus  scheinen immer mehr zum Verwischen von Grenzen zu führen. Ein “Nein” zählt kaum noch. Ein logischer Gedanke “Kann das noch gewollt sein” kommt kaum noch auf. Und was noch viel schlimmer ist: es wird nicht mehr geholfen!

Ein sehr realistisches Buch mit einem leider realistischen Ende. Volle Punktzahl. 

Verlag: Carlsen
erschienen: 2018
Seiten: 368
ISBN: 978-3551583864

Rezension

Rezension // Timur Vermes: Er ist wieder da

Im Sommer 2011 geschieht etwas Ungewöhnliches: Adolf Hitler erwacht auf einem Baugrundstück in Berlin in seiner Uniform. Er ist allein und schaut sich interessiert um. Er ist dem Fortschritt gnadenlos ausgesetzt und es hat sich scheinbar (!?) viel verändert.

Puh, das wird eine schwere Rezension. Erst einmal muss ich sagen, dass die Idee der Zeitreiseromane ja schließlich nicht neu ist. Es jedoch eine Besonderheit, dass die Zeit reisende Person eine kontroverse Person der Geschichte ist. Adolf Hitler ist in Deutschland ein Thema für sich. In den Schulen wird dieses Thema nicht nur einmal, zweimal, dreimal und sogar in meinem Fall vielfach durch genommen (Deutsch, Geschichte, Politik, Werte und Normen etc.und das in diversen Jahrgängen). Auf n-tv und n24 laufen Reportagen noch und nöcher und eigentlich kann das Thema keiner mehr hören, obwohl es doch wichtig und immer noch aufgrund extremer politischer Richtungen brisant und aktuell ist.

Darf man daher darüber lachen?

Die ersten 100 Seiten hab ich herzlich gelacht, da ich es schon komisch fand, dass Hitler seine Uniform in eine türkische Blitzreinigung bringt oder er die Sportleibchen mit Namensaufdruck von Hitlerjunge Ronald gut findet. Doch dann häuften sich Reden und Äußerungen der Romanfigur, die ich nicht mehr witzig fand. Das es sich hierbei um Endlösung, Juden usw. handelt, muss ich an dieser Stelle wohl nicht schreiben.

Der Autor fügt zwar im Laufe der Geschichte Hinweise ein, dass auch der Leser dies zwar hinterfragen, man eigentlich auch den Medien kritisch gegenüber stehen und nicht alles blind konsumieren sollte, aber mich hat es beim Lesen gestört. Dies steigerte sich derart, dass ich mich zum weiterlesen gezwungen habe. Lesegenuss habe ich daher eher weniger empfunden. Stoff zum Nachdenken gab es mit Sicherheit. Daher vergebe ich 6 von 10 Punkten. Ob ich damit gerecht bin, weiß ich nicht, denn das Geschichtliche ist gut recherchiert und auch die Hommage an Chaplin und einige Andere sind gelungen.

Hinweis: Das Hörbuch wird von Christoph Maria Herbst gesprochen, der auch inhaltlich mehrfach erwähnt wird. Genial.

Verlag: Eichborn Verlag
erschienen: 2012
Seiten: 400
ISBN: 978-3847905172

 

Gesehen auf der Leipziger Buchmesse 2013
© Sonja Kochmann